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Die Geschwister-Nummer

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Geschwister


Ich hatte mir in diesem Jahr fest vorgenommen, für die Veranstaltung in Klagenfurt und die von mir zu kommentierende Anne Richter mehr Zeit aufzuwenden als im vergangenen Jahr für Iris Schmidt. Donnerstag und Freitag fielen jedoch wieder wegen Büro aus, das war vorhersehbar gewesen und einkalkuliert. Am Samstag dagegen sass ich früh vor dem Fernseher, den fälligen Teilwasserwechsel hatte ich extra bereits in der Vorwoche besorgt, und hatte 3SAT eingeschaltet; die Kinder haben jetzt einen eigenen Fernseher und die Konfliktsituationen sich folgerichtig deutlich reduziert. Ich schalte übrigens öfters am Wochenende 3SAT ein, von 7.30 Uhr bis 9.00 Uhr läuft dort das Alpenpanorama, wo man bei unaufdringlicher bayrischer Volksmusik die zahlreichen Web- und Panoramakameras der alpinen Urlaubsorte und der südeuropäischen Grossstädte verfolgen kann, das ist ungeheuer entspannend. Heute (Sonntag) morgen konnte man mehrere Minuten das Schicksal einer Budapester Spinne verfolgen, die sich vor dem Objektiv ihr Netz gesponnen hatte, während im Hintergrund die ungarische Hauptstadt in Zeitlupe an einem vorbeizog. Zurück zum Samstag: Zwischen dem Ende des Alpenpanoramas und dem Beginn der Übertragung aus Klagenfurt zappte ich in eine alte Folge "Disco 1980" mit Ilja Richter auf ZDF Kultur und musste bei "Der Teufel und der junge Mann" von Paola gleich zum ersten Mal an diesem Tag vor Rührung weinen.

Anne Richter hatte Glück, dass am Samstag keine Bergankunft im Terminplan der Tour de France stand, sondern nur eine Flachetappe von Aigurande nach Super-Besse, weil ich mir ihren Vortrag sonst gar nicht hätte anhören können, wenn Eurosport ganztägig übertragen hätte. Samstag ging es ins Zentralmassiv, auf dem "welligen Terrain" würde es, so hatte radsport-seite.de gemeldet, aber das ist dem fachkundigen langjährigen Tourzuschauer, der sich auch von der öffentlich-rechtlichen Dopinghysterie seine Freude nicht hat vermiesen lassen, eigentlich sowieso klar, zu einem "ersten ernsthaften Abtasten zwischen den Klassementfahrern" kommen, wobei um den Etappensieg die "auf die Hügelklassiker spezialisierten Fahrer ein Wörtchen mitreden" würden, entweder "im Bergaufsprint oder sogar schon vorher mit einer Ausreissergruppe". Ein Ausreisser gewann schliesslich, ein einziger kam durch vor dem grossen Feld. Das Ganze würde sich jetzt wunderbar als Allegorie auf den diesjährigen Bachmannwettbewerb umdeuten und interpretieren lassen, aber ich habe wie erwähnt Donnerstag und Freitag gar nicht geschaut und also die diesjährigen Hügelklassikerspezialisten und Klassementfahrer gar nicht identifizieren können, selbst wenn ich gewollt hätte.

Namenstechnisch war ich aus der Zulosung der Termine wieder als Verlierer hervorgegangen, wie im Vorjahr mit Iris Schmidt, fast alle anderen Namen schöner: Lautmalerisch und an die unendliche Geschichte gemahnend Steinbeis, ebenfalls onomatopoietisch Prassler, da denkt man an ein heftiges Gewitter oder die Füsse unter der Decke am Kaminfeuer, einen Single Malt in der Hand, Haderlap, herrlich, Assoziation zum tautologischen Haderlump, Rabinowich, da kenne ich sogar ihren Bruder Tex aus dem Internet, Bussmann, da kommt die Silbermedaille von Frank Busemann bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta ins Gedächtnis, als der spätere Sieger Dan O'Brien nach dem ersten Tag rumlief und fragte, Who the fuck is Busemann, und Frank Busemann dachte, O'Brien sei auf der Suche nach dem Busfahrer, Popp, spielte bis gestern bei der Frauen-WM, Reichlin, das klingt nach Landadel mit Herrenhaus in den Ostgebieten, Jürgen Klupp und Roland Wisser, beides Klassenschläger damals in der Grundschule, sehr unschöne Assoziationen hier, Baum, da hatte ich mir schon ein schönes Wortspiel mit ihrem Geburtsort Borken zurechtgelegt, wenn sie mir zugelost worden wäre, allein Randt ähnlich unspektakulär wie Richter.

Anne Richter stand also als zu beurteilender Monolith vor mir, keinerlei Massstäbe hatte ich zur Hand, die guten Gewissens anzulegen gewesen wären, abgesehen von Iris Schmidt, die ich mir letztes Jahr mehr oder weniger gezwungenermassen angeschaut hatte. Anne Richter – Ayers Rock, das waren auch die gleichen Initialen, das konnte kein Zufall sein. Als Anne Richter ihren Vortrag begann, sass ich mit Kladde und Stift bereit, mir Notizen zu machen. Nach wenigen Minuten kam es leider zu mehreren aufeinanderfolgenden Störungen, die der Konzentration abträglich waren: Zunächst klingelte der DHL-Bote mit einem Paket von Amazon, in dem der Xoomy Profi-Comic-Zeichentisch geliefert wurde, den ich im Auftrag der Kinder vor drei Tagen bestellt hatte, kurze Zeit später der reguläre Zusteller mit einem Umschlag, der wegen Übergrösse nicht in den Briefkastenschlitz passte, darin endlich die lang erwarteten kostenlosen Werbelautsprecher von Pringles, die man direkt auf eine leere Pringlesdose aufsetzen kann und diese damit als Resonanzkörper verwenden, wenn man vorher drei Deckel dafür einschickt. Kurze Zeit später gab es Ärger von den Kindern, beim Xoomy Zeichentisch waren nicht wie versprochen 60 verschiedene Motivvorlagen beigelegt, sondern nur drei, die sich je zwanzig Mal wiederholten. Es muss also reklamiert werden. Immerhin weisen die paar Notizfetzen, die mir trotzdem gelangen, einen halbwegs akzeptablen Deckungsgrad auf zu dem, was die Juroren, von denen dieser Spinnen der mit weitem Abstand unerträglichste Schmierlappen ist (professoraler Habitus at its best, dabei ist er nicht mal einer), im Anschluss so zu kommentieren hatten: Mit Ausnahmen ganz gut gemacht, die Verknüpfungspunkte fehlen manchmal, teilweise unverständliche Abschweifungen, die Dialoge ein wenig zu plakativ, Bedeutung der Motive bleibt unklar, das Ganze sehr brav, man verliert mittendrin die Lust, den Schluss unbedingt hören zu wollen, bzw. nach dem Ende die Teile, die man wegen der Postboten und der fehlenden Xoomy Motivvorlagen verpasst hat, im Netz nochmal nachzulesen.

Direkt im Anschluss an die Übertragung fuhr ich, Duplizität der Ereignisse, auch in diesem Jahr wieder Fische kaufen, dieses Mal aber keine zum Essen, sondern einen Schwarm Rote Neon fürs Aquarium.


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